Tilt
ist eine Errungenschaft, die bereits seit der Zeit der Plattenkameras bekannt ist. Bei großen Negativen (4"x5" oder 8"x10") ist ein 150mm-Objektiv bereits ein Normal- bzw. Weitwinkel-objektiv. Selbst Abblenden auf f/32 oder sogar die berühmten f/64 genügte dann oft nicht mehr, um in der Landschaftsfotografie eine scharfe Abbildung vom Vordergrund bis zum Horizont zu erzielen.
Im Abschnitt über shift
hatte ich bereits erwähnt, dass Großformatfotografen gerne ihren Objektiv-träger nach oben verschieben, um dem Hintergrund mehr Bedeutung zu verleihen. Gleichzeitig schwenken Großformatfotografen ihr Objektiv ein wenig nach unten, um mit weiter geöffneter Blende arbeiten zu können und trotzdem eine scharfe Abbildung vom Vordergrund bis zu den "Rocky Mountains" zu erzielen. Ansel Adams war ein Meister dieser Technik.
Aus dem zuvor gesagten lässt sich eine Empfehlung für den Einsatz von Tilt/Shift-Ob-jektiven ableiten. Shift
lässt sich bei allen Brennweiten gut einsetzen, wird aber besonders dann zum entscheidenden Faktor, wenn stürzende Linien allgegenwärtig werden: Beim Einsatz von Weitwinkelobjektiven! So gibt es denn auch Hersteller, die ihre 20mm-Weitwinkelobjektive lediglich mit shift
ausstatten. Die erforderliche Schärfentiefe wird bei so kurzen Brennweiten einfach durch Abblenden hergestellt.
Tilt
ist hingegen dann interessant, wenn Abblenden nicht mehr ausreichend ist, um eine ausreichende Schärfentiefe zu erzielen. Das ist bei Objektiven ab bereits einer Brennweite von ca. 35 mm der Fall.
Kritiker könnten jetzt entgegenhalten, dass es doch das 17 mm TS-E von Canon gibt. Stimmt, aber vermutlich nur deshalb, weil Canon einfach den vor-handenen Tilt-/Shift-Mechanismus aus wirtschaft-lichen Gründen von den langen Objektiven kopiert hat. Warum auch sollte man das für jede Brenn-weite neu erfinden?
Ach ja, auch tilt
ist keine Technik, die nur in der Architekturfotografie Anwendung finden muss. Landschafts-, Makro-, ja sogar die Portraitfotografie können von tilt
profitieren.
"Das kann man heutzutage alles am Computer erreichen. Da braucht es keinen tilt", mag jetzt einer/eine/eines sagen. Das mag in der Makrofotgrafie vielleicht zutreffen, aber ob focus stacking
bei einem 100mm-Objektiv im Bereich von 1 m bis unendlich noch effizient und zu Lebzeiten des Fotografen möglich ist, wage ich zu bezweifeln. Wenn die Optik dann noch unter focus breathing
leidet, wird es auch für den Computer schwierig...