Bergwandern auf Bornholm
Tag 1 - zweimal Hammershus und zurück
Meine erste Wanderung über Bornholm holt weit nach Süden aus. Auf jeden Fall möchte ich dabei die Burgruine Hammershus besuchen und noch so einige andere Sehenswürdigkeiten mitnehmen. Ein Spaziergang wird das nicht. Wandern auf Bornholm bedeutet ein stetes Auf und Ab auf z.T. sehr ruppigen Wegen, die nicht immer ganz offensichtlich erscheinen. Bornholm ist keine flache Insel. Wandern wird hier schnell zu Bergwandern.
Luxusstart von der Haustüre
Eine Wanderung direkt an der Haustüre beginnen zu können, ist für mich ein unbezahlbarer Luxus. Man trinkt den Kaffee aus, stellt die Tasse in die Spüle, schnappt sich den Rucksack und Fotoapparat, steckt schnell noch einen Apfel ein und steigt unmittelbar in die Wanderschuhe. Nachdem dann die Tür von außen zugezogen ist, geht die Tour sofort los. Keine lästige Anfahrt mit dem Auto, keine Parkplatzsuche, kein Stau.
Nur fünf Minuten später habe ich Allinge nach zweimal Abbiegen bereits verlassen und ich wandere an einer Hecke entlang über eine Wiese. Die aufgehende Ostseesonne taucht die Landschaft in goldenes Licht. So fühlt es sich also an, glücklich zu sein. Vor lauter Glück hätte ich fast den Abzweig in die Wiese verpasst.
Rehe äsen auf der Wiese und überlegen sehr lange, ob sie vor mir flüchten müssen. Die halbherzige Flucht endet auf der anderen Seite der Hecke. Wir sehen uns wieder!
Das Zentrum eines offengelassenen Steinbruchs überrascht mit einem grünen See mitten im Wald. Alles hier, die kleinen Sehenswürdigkeiten, die vom Laub bedeckten Wanderwege, erscheint so unberührt und friedlich.
Dann trete ich auf eine weite Lichtung hinaus. Hier sollen sich drei Wege kreuzen. Ich habe jedoch schon Mühe auf meinem zu bleiben. Die Spuren verlieren sich im Gras der flachen Kuppe. Dann eine Hinweistafel. Darin geht es jedoch nur um den geologischen Hintergrund dieser Landschaft. An einigen Stellen durchdringt Fels die Grasnarbe. Als sich nach der letzten Eiszeit die Gletscher zurückgezogen haben, konnte sich nicht genügend Erdreich ansammeln. Hier hat Bornholm eine "Halbglatze" bekommen.
Während ich noch darüber nachdenke, ob sich ein Glatziologe mit Haarausfall befasst, steige ich fast unmerklich in einen Wald hinab. Ein großer grauer Fleck taucht auf dem Navigationsgerät auf. Was soll das sein. Ich biege nach links ab, weil ich mir das ansehen muss.
Moseløkken Stenbrud
Ich unternehme einen Abstecher in den Wald, um mir den grauen Fleck genauer anzuschauen. Aha, ein Steinbruch. Zahlreiche Bohrhaken im Fels verraten, dass hier auch geklettert wird. Wie hypnotisiert folge ich einem kurzen Klettersteig (A) hinab in die Grube. Es handelt sich um den Zustieg zu den zahlreichen, eingerichteten Kletterouten. Das Drahtseil endet und es muss richtig geklettert werden (II). Leider ist das eine Sackgasse. Ich hatte gehofft durch den Steinbruch weiterzukommen, muss das Ganze aber nun zurückklettern. Warum ist das aufwärts nur immer anstrengender als abwärts?
Mitten durch die Mauer zieht sich ein Pfeiler vom Boden bis in den Himmel. Die Wand ist glatt, als wäre sie mit dem Käsemesser abgeschnitten worden. Spaßvögel nennen diese Formation El Kaptajnen.
Während ich das große Grau auf der Karte umlaufe, lerne ich, dass es sich hierbei auch um eine Art Museum handelt. Für ein paar Kronen kann man hier parken und das Hauptgebäude besichtigen. Ein Parkplatz für die Kletterer ist dagegen kostenlos.
Dann endet die Zivilisation auch schon wieder. Irgendwo hat die letzte Eiszeit einen namenlosen See hinterlassen. Der Wald erscheint wieder unberührt. Die Wege verschwinden unter Laub. Doch gelange ich zu einem Trafohäuschen.
Burgruine Hammershus
Hinter dem Trafohäuschen findet sich eine asphaltierte Straße und an deren Ende ein großer Parkplatz. Ein Schild weist den Weg zum Besucherzentrum. So früh am Morgen ist hier jedoch noch nichts los. Ich schlendere weiter und plötzlich steht die gewaltige Burg vor mir. Sofort wechsle ich in den Fotografenmodus.
Ich probiere es zunächst in Farbe, aber erst als ich zu Schwarzweiß wechsle, gefällt mir, was ich im Kamerasucher sehe.
So früh am Morgen ist es hier noch menschenleer. Nur die Geräusche der Brandung und des Windes dringen an mein Ohr. Hammershus erstreckt sich auf der Klippe über der Ostsee wie ein aus dem Himmel gefallenes Überbleibsel einer früheren Apokalypse.
...und der Mahlstrom der Zeit nimmt alles in sich auf und hinterlässt nichts als Entropie...
Paradisdalen, Heidelandschaft, Vang und das Meer
Erst ein Viertel der geplanten Runde ist geschafft und ich habe schon so viel erlebt und gesehen. Ich müsste eigentlich mehr Tempo machen. Noch völlig geflasht von Hammershus übersehe ich zunächst die wunderbare Schönheit des Tales, durch das ich mich bewege. Ich muss umkehren und nochmal von vorne beginnen. Das Paradisdalen hat es verdient.
Weiter durch den Wald. Es ist ganz schön finster unter dem dichten Blätterdach. Als ich auf eine Lichtung trete, stellt sich so etwas wie Erleichterung ein. Die Slotslyngen (Schloss-Heide) liegt vor mir. Im Norden reicht der Blick bis zur schwedischen Landmasse. Im leichten Auf und Ab geht es mehr abwärts auf Vang zu. Der Anleger des ehemaligen Granitsteinbruchs ragt wie ein Fragezeichen in die Ostsee hinaus. Vang werde ich heute jedoch nicht ganz erreichen.
Vorher leitet nämlich eine Holztreppe steil hinab zum Strand. Laut Karte müsste ich nun nur noch einem Weg immer an der Strandlinie entlang nach Norden folgen. Den Weg gibt es jedoch nur auf der Karte. Die Realität besteht aus großen, runden Steinen, die zwischen der Ostsee auf der linken Seite und dem Steilufer auf der rechten Seite nur ein schmales Band für mühsames Fortkommen übrig lassen (T3). Als vor mir nur noch steile Felsklippen aufragen, finde ich glücklicherweise eine schmale, unscheinbare Pfadspur, die wieder noch oben, auf einen richtigen Wanderweg führt. Andere Wanderer! Hier kann ich also nicht so falsch unterwegs sein.
Hinter einer Wegbiegung auf einer Lichtung fällt der Blick wieder auf Hammershus.
Und wieder folgt ein Abstieg. Und wieder geht es bergauf. Langsam überkommen mich Müdigkeit und Hunger. Über mir trohnt Hammershus auf dem Berghügel. Eine feuerrote Libelle treibt mich an und sagt fortwährend: "Komm und folge mir! Es ist nicht mehr so weit." Na, die hat ja auch gut fliegen!
Hammershus, die Zweite
Endlich kann ich auch die zweite Kamera, die mit dem Shift-Objektiv, aus dem Rücksack holen. Das Fotografieren wird aber nun um die Mittagszeit deutlich schwieriger. Nicht etwa, weil das harsche Licht ungünstig wäre, sondern weil so viele Leute in völlig bunten Klamotten durch die Szene laufen.
Schwarzweiß passt zum Motiv und zum Licht. Die paar Versuche in Farbe sind der Rede nicht wert. Wie sehr mir nun aber die Kraft ausgeht, bemerke ich, als ich versuche die Kamera waagerecht mit der Dosenlibelle auszurichten. Immer wenn die Blase das Zentrum des Kringels durchwandert, drücke ich auf den Auslöser. Aber allein der Druck auf den Auslöser bringt schon wieder alles aus der Waage. Hätte ich doch nur das Stativ dabei, dann müsste ich das auch noch den ganzen Tag durch die Gegend schleppen...
Salomons Kapel und Hammerodde Fyr - ein müder Schlussspurt
Ich bin nun wirklich gespannt, wie viele Höhenmeter heute Abend auf dieser Bergwanderung zusammengekommen sein werden. Von
Hammershus
aus geht es natürlich zuerst wieder nach unten, weiter nach
Hammerhavn und dann wieder, wie sollte es auch anders sein, aufwärts, um die steilen Klippen auf der Landseite zu umgehen. Auf der Wasserseite würde ich das heute eh nicht mehr schaffen.
Der Apfel von heute Morgen ist schon lange gegessen. Zu meinem Glück ernährt Bornholm jedoch seine Bewohner und Besucher. Ich futtere Brombeeren und zahlreiche wilde Äpfel. Von den Wacholderbeeren lasse ich jedoch die Finger. Sieht zwar aus wie Blaubeeren, macht aber - soweit mir bekannt - roh verzehrt Bauchschmerzen.
Salomons Kapel taucht recht unvermittelt vor mir auf. Meinem fotografischen Ich fällt aber heute nicht mehr besonders viel dazu ein. Kormorane sonnen sich auf den Felsen der Küstenlinie. Ich bin bereits zu müde, um mich geschickt anzupirschen. So richtig nahe kann ich ihnen nicht kommen.
Selbst der schöne Leuchtturm Hammerodde Fyr kann bei mir kaum noch Begeisterung wecken. Hierher muss ich an einem anderen Tag zurückkehren. Meine Gedanken kreisen nur noch darum, ob ich mir heute Bratwürste oder Nudeln oder vielleicht beides zum Essen mache.
Nach 20 km und etwas mehr als 500 Hm endet meine Bornholmer Bergwanderung müde und glücklich wieder am Ausgangspunkt in Allinge.
Als ich das Apartment betrete, biege ich sofort nach links auf die Toilette ab. Ich mache es mir gerade so richtig gemütlich, da erhellt ein Blitz begleitet von sofortigem Donner die Nasszelle. Das Licht fällt kurz aus. Ein Platzregen entlädt sich tosend vor dem Fenster. Manchmal kann Glück eine ganz schon knappe Angelegenheit sein...