Bergtour über die Leilachspitze
Heute dauert alles länger
Schummerung und Farbe des Himmels versprechen schon, dass das heute nicht nur der längste, sondern auch einer der heißesten Tage des Jahres werden wird. Wer kennt eigentlich noch Rudi Carell, oder bin ich wirklich schon so alt? "Wann wird's mal wieder richtig Sommer, so ein Sommer wie er früher einmal war, mit Sonnenschein von Juni bis September...", hat er gesungen, der Rudi Carell. Würde er noch leben, dann würde ich sagen: "Da hast Du Deinen scheiß Sommer mit zuviel Sonnenschein!" Ich hätte manchmal gerne wieder so einen Sommer wie vor 11 Jahren. 2014 war verregnet und kühl...
Der Weg ins Tal hinein zieht sich. Zunächst geht es leicht bergauf, aber man verliert auch schnell wieder Höhe, wenn man ins Krottental eintaucht. Ein Schlenker nach rechts am Drahtseil. Wasser sollte man aus diesem Bach nicht schöpfen, denn ganz oben liegt die Gräner Ödenalpe! Dieser spannende Schlenker ist leider viel zu schnell vorüber. Danach senkt sich der Weg weiter hinunter zum Weißenbach ab. Am Nachmittag werde ich das alles wieder bergauf gehen müssen. Schweißperlen sammeln sich schon jetzt auf meiner Stirn...
Die Brücke, ein Schlenker nach Norden und im morgendlichen Waldschatten weiter hinauf ins Notländer Kar. Die ersten zwei Liter Wasser sind schon verbraucht, als ich eine Frühstückspause einlege. An den zahlreichen Bächen, die aus dem Notländer Kar abfließen, kann man die Pullen jedoch wieder auffüllen. Das sollte man auch tun, denn jetzt wird es erstmal trocken.
Im oberen Teil des Notländer Kar überholt mich noch ein Stresserpärchen im Eilschritt. Ich schaue mir an, wie die beiden den Kegel unter der Schuttrinne erklimmen und dann zunächst zögern. Was ist da los?
Nichts ist da los, die haben die Stöcke im Rucksack verstaut. Die ach so schwierige Rinne, die unbedingte Trittsichheit erfordert, war gar nicht so schlimm. Man kann über den bröseligen Rand in faulen Wiesentritten und Schrofen aufsteigen oder aber man nimmt den direkten Weg durch die Rinne über die großen Blöcke hinweg. Mit ein bisschen Bouldertraining in der Halle ist das relativ einfach (<fb3) und sicher.
Jetzt kommt der schönste Teil der gesamten Runde, und für mich auch der schmerzvollste Teil der gesamten Runde. Es könnte hier so schön sein, nein, es ist hier schön, aber ich werde wieder von diesen dämlichen Krämpfen auf der Innenseite der Oberschenkel geplagt. Zu wenig Mg-Ionen können es nicht sein, ihr Klugscheißer. Ich hoffe nur, dass es nicht wieder etwas anderes ist... Für die letzten zweihundert Höhenmeter über den sehr schönen Nordgrat brauche ich fast 45 Minuten. Dann noch zwei einfache Kletterzüge durch die Gipfelrinne und ich stehe oben auf der Leilach, allein!
Die Krämpfe sind hier schnell vergessen. Brotzeit und Rundblick verlangen jetzt meine volle Aufmerksamkeit. Fünf Stunden war ich bis hierher unterwegs. Eine dreiviertel Stunde davon waaren Pausenzeiten. Wie lange will ich hier oben bleiben. Gerne länger, aber von Süden nähern sich unter den Krottenköpfen schon wieder die nächsten Bergsteiger. Denen möchte ich in der steinschlaggefährdeten Rinne nicht unbedingt begegnen oder gar Steine aufs Hirn schleudern. Ich wäre untröstlich! Nach einer halben Stunde auf der Leilach breche ich schon wieder auf.
Der Abstieg ist nicht wirklich einfach. Von oben sieht man nur sehr wenige der roten Wegmarkierungen. Die Wegmarkierungen sind eher für den Aufstieg von dieser Seite gemacht. So mache ich mir das Leben oft selber schwer, hangele mich teils im II. Grad über Aufschwünge nach unten, nur um dann zu erkenen, dass es rechts oder links von meiner Stelle deutlich einfacher gewesen wäre. Nie war ich so froh über eine Schuttrinne, in der man auch einige Meter abfahren kann. Für die, die hier heute noch aufsteigen wollen, tut mir das zwar leid, aber auch nur ein bisschen.
In der Mitte der Rinne treffe ich auf die ersten Entgegenkommenden. In Halbschuhen sind die zwar schnell unterwegs, aber mit einer anschließenden Schuttabfahrt wird es so nix werden.
Aha, deshalb. Nach einem kurzen Wortwechsel finde ich heraus, dass die aalle schnell mal von der Landsberger Hütte hierher kommen. So sparen die immerhin ein paar hässliche Meilen...
Ich habe etwas unterschätzt, und zwar den Weg um die Luchs- bzw. Krottenköpfe herum. Dieser Abstieg ist mit einigen Gegenanstiegen gespickt, die die Bruttohöhenmeter nocheinmal zunehmen lassen. Der Weg ist auch nicht mehr ganz einfach. Es gibt noch zahlreiche Brösel und Felspassagen, bis ich endlich zur Krottenkopfscharte gelange. Der weitere Weg zum Östl. Lachenjoch wird jetzt zwar deutlich leichter, ab mit dem Abstieg kommt man auch wieder in die Hitze. Am Lachenjoch trinke ich den letzten Schluck Wasser aus der Flasche, weil ich ja gleich im Birkental auf einen Bach treffen werde...
Der obere Weißenbach ist furztrocken, meine Kehle auch! Erst nach einem weiteren Kilometer werde ich auf einen Bachlauf treffen, in dem der Bach auch wirklich läuft, also rinnt, oder noch besser fließt. Das war jetzt nötig. Den nächsten Liter Wasser stürze ich in einem Zug hinunter.
So, jetzt gefällt mir auch das Obere Birkental gleich viel besser. Hier gäbe es zahlreiche Fotomotive. Ein Besuch mit großer Ausrüstung würde sich bestimmt lohnen. Meine Gedanken kreisen mittlerweile aber eher um die Frage, ob Tagliatelle mit Gorgonzola und Spinat oder Spaghetti mit Pesto verde. Da ist auch wieder die Brücke über den Weißenbach. Ab jetzt wird es fast schon wieder langweilig.
Ich komme noch mit einer Bergsteigerin ins Gespräch, die meine heute Runde andersherum absolviert hat. Sie ist von ihrer Variante ganz begeistert, weil man die Schwierigkeiten an der Leilachspitze so im Aufstieg bewältigen kann. Dem kann ich nur zustimmen, aber ich habs ja nicht anders gewollt und wäre auch gar nicht darauf gekommen.
Zuletzt lerne ich endlich, wo sich in Rauth dieser Wanderparkplatz befindet, der nicht der Parkplatz des Wirtshauses ist. Dann muss ich noch 500m weiter und hinunter zur Straße, bis ich an meinen Ausgangspunkt zurückkehre.
10,5 Stunden dauern lang. Nur 2,5 Stunden Pause waren heute für mich drin. Zumindest kann ich einen schönen Haken in meiner Liste machen. Wenn ich jetzt noch wüsste, ob ich heute Morgen in Weißenbach versehentlich ein Foto gezogen habe. Aber es gibt Schlimmeres, z.B. Blockabfertigung am Grenztunnel. Heute dauert eben alles ein wenig länger!