Hindelanger Klettersteig
Abgehakt und durchgestrichen!
In meiner nicht vorhandenen Bergsteigerkarriere kommen immer wieder einmal Klettersteige vor, obwohl ich Klettersteige wirklich nicht mag. Eine Drahtseilversicherung gauckelt einem meist nur eine scheinbare Sicherheit vor. Wenn man auf einem Eisenweg den Abflug macht und mit der Augenhöhle am Drahtstift hängen bleibt, dann hilft einem der Bandfalldämpfer des Klettersteigsets auch nicht viel. Weiters ziehen Klettersteige viele laute, zumeist sehr nervöse und aufgeregte Menschen an. Das macht mir noch mehr Angst als die oben erwähnte Sache mit der Augenhöhle.
Und warum geh ich Depp dann gerade an einem Samstag über den Hindelanger Klettersteig? Nun, Wetter und Gelegenheit sind günstig. Gestern hatte ich sogar einen Ruhetag, so dass ich frische Energie schöpfen konnte. Also mal schauen, ob ich dieser Klettersteigpflicht nicht auch etwas Schönes abgewinnen kann.
Der erste Dämpfer kommt an der Kasse. Fast 55,- € muss man für eine Berg- und Talfahrt mit der Nebelhornbahn als Erwachsener berappen. Später kommen noch einmal 5,- € fürs Parken dazu. Übrigens, wer früh genug dran ist, sollte versuchen einen Schattenparkplatz in der untersten Parkebene zu ergattern, weil dann auch der Weg zur Seilbahntoilette nicht so weit ist.
Das Gedränge und Geschiebe am Eingang der Talstation ist groß. Jeder will der Erste sein und wenn sich die 10er Gondeln später noch überholen könnten, dann würde man Zeuge eines spannenden Bergrennens werden. So aber treffen sich alle Klettersteigaspiranten an der Station Höfatsblick wieder, denn ab hier kann man nur gemeinsam weiterfahren!
Am Nebelhorngipfel herrschen zunächst Nebel und Verwirrung. Ich schließe mich ausnahmsweise einmal der richtigen Warteschlange an, erreiche nach ein paar Stufen hinab eine Plattform an der obersten Seilbahnstütze, kann dort das Geländer überklettern und steige über eine Leiter in alpines Gelände ab. Der Prolog zum eigentlichen Klettersteig ist einfach. Trotzdem höre ich hinter mir bereits Karabiner klicken und über das Drahtseil schürfen. Zu blöde nur, dass ich am Einstieg noch den Helm aufsetzen muss. Die anderen Streber haben das bereits an der Talstation in Oberstdorf erledigt...
Während ich mir die Murmel aufs Haupt setze, biete ich dem Drängler hinter mir sogar den Vortritt an, weil 'i es ned mog, wenn man mia ins Genack steigt'. Nachdem das geklärt ist, verstehen wir uns für den Rest des Klettersteigs recht gut. Man muss halt miteinander reden!
Nach einer sehr kurzen B/C-Stelle und der ersten Leiter direkt nach dem Einstieg, fällt die Anspannung gleich einmal wieder ab. Gehgelände oder nur leichtes Kraxeln. Das beschreibt auch sehr gut den Gesamtcharakter des Hindelanger Klettersteigs. Es herrscht kein Anspruch auf ein durchgehendes Drahtseil! Es gibt eine Reihe ungesicherter Geh- und Kraxelstellen. Anfängern könnte das Probleme bereiten. Die 3,5 km in anregendem anstrengendem Auf und Ab wollen geklettert werden. Man sammelt auf diesem Klettersteig immerhin 400 Hm und zum Gr. Daumen kann man zuletzt noch 180 Hm drauflegen. Wer es nicht so weit treiben möchte, dem bieten sich zahlreiche z.T. markierte und ausgeschilderte Zwischenabstiege (ZAb) als Exitoptionen an, denn die letzte Talfahrt ab Höfatsblick um 16:40 Uhr mag manchem auf dem Zeitgefühl lasten.
Zunächst komme auch ich gut voran. Gelegentlich lasse ich Stresser vorbei und mache einfach mein Ding. Ab dem Östlichen Wengenkopf muss ich dann jedoch langsamer machen. Die vielen Höhenmeter der vergangenen Urlaubswoche verlangen ihren Tribut. Die Waden machen zu, die Beine sind schwer, die Puste geht mir bei so manchem Anstieg aus. Ein paar Schluck Wasser wollen eingeteilt werden, weil es hier oben keine Möglichkeit zum Auffüllen der Flaschen gibt.
In den Zwiebelsträngen passiert es dann. Eine Leiter, die man schon von weitem sehen konnte, ist plötzlich verschwunden. Aber hier ist ein Weg und sogar ein roter Punkt. Selsam nur, dass ich mich plötzlich in den Trittwannen einer steilen Grasfläche befinde. Oben angekommen sehe ich dann die wieder die Leiter, von oben. Na gut, diese Leiter habe ich umschummelt. Kurz überlege ich, ob ich nicht besser zurück... Die zwei Blondinen, die mir blindlings in diesen Abkürzer gefolgt sind, stört es aber auch nicht. Also weiter geradeaus zum Daumen.
In der Scharte vor dem allerletzten Aufschwung verabschiede ich mich von dem netten Augsburger Ehepaar, dem ich auf diesem Klettersteig immer wieder einmal begegnet bin. Angenehme Gesprächspartner. In dieser Scharte stellen alle bereits umfangreiche Raum-Zeit-Berechnungen an. Zwei Stunden soll der Abstieg zum Edmund-Probst-Haus immerhin dauern und die letzte Seilbahn will niemand verpassen, schon gar nicht, wenn man so viel Geld für eine Berg- und Talfahrt bezahlt hat! Viele biegen deshalb hier rechts ab, hinunter zum Koblatsee.
Es ist 13:17 Uhr. Ich rechne noch mal mit dem Schlimmsten: 30 Minuten über den letzten Abschnitt + 20 Minuten auf den Daumen + 15 Minuten Gipfelrast + 2h 15 Min für den Abstieg ergibt in Summe 3:20 h, plus 13:17 Uhr wird daraus 16:37 Uhr. No risk, no thumb!
Für den letzten Abschnitt des Hinderlanger KS habe ich dann tatsächlich 30 Minuten benötigt. Helm und Gurt lasse ich dran, als ich zum Großen Daumen sprinte. Sprint ist ja so ein großes Wort. Immer wieder muss ich anhalten, um Lust zu schnappen und die Beine auszuschütteln. Fast muss ich schon befürchten, die Bingo-Zeit 14:05 Uhr zu verpassen. Aber um 14:03:42 Uhr ist es dann doch geschafft. Ich würde hier gerne noch in der Wiese liegen bleiben, aber der geile Geiz treibt auch mich nach unten und zur Seilbahn.
So ein Klettersteig ist auch immer wieder eine schöne Milieustudie. Da sind z.B. die beiden Gehörlosen. Die waren schon 45 Minuten vor der ersten Gondel an der Talstation und fertig angeseilt. Wir sitzen in derselben Gondel. Mir fällt dabei auf, dass sich auch Gehörlose lautstark unterhalten können. Die Gebärdensprache klatscht manchmal ganz schön. Die beiden sind richtige Stresser und machen auf dem KS mächtig Tempo. An ausgesetzten Stellen kann man deutlich vernehmen, dass auch an sich stumme Menschen Laute von sich geben können. Ist daas jetzt die Anstregung oder die Angst? Außerdem sind Menschen mit Handicap oft so ehrgeiztig. Ich hätte jedenfalls nicht geglaubt, den beiden nach ihrem Überholvorgang heute noch einmal zu begegnen. Während des Abstiegs begegne ich ihnen dennoch wieder und dieses Mal überhole ich! Ich bin ein böser Mensch, weil ich mich nur von Geld und Geiz zu Höchstleistungen antreiben lasse...
01:40:18 benötige ich, um vom Gr. Daumen zum Edmund-Probst-Haus zu gelangen. Das soll aber nicht das Maß der Dinge sein. Das Gelände ist für ungebübte Berggeher möglicherweise doch etwas rumplig. Zudem sind 158 Hm im Aufstieg zu überwinden, obwohl man gedanklich ja schon beim Abstieg ist. Es ist jetzt 16:00 Uhr. Soll ich noch kurz in der Hütte einkehren, nur um dann die letzte Gondel später um wenige Sekunden zu verpassen? Nein, Abfahrt und dann nach Hause.
Zing und die Klettersteige, das wird niemals ein große Liebe, und wenn es nicht unbedingt sein muss, dann auch bitte keine Zweckgemeinschaft. Ich fand am Hindelanger Klettersteig tatsächlich die Stellen ohne Seil und Leiter am schönsten. Gut war auch, dass sich die Hektik über 3,5 km Luftlinie recht effizient ausdünnt. Es gab sogar ein paar stille Momente.
Der Helm muss sein. Wer jedoch das Klettersteigset in jedes Drahtseil einhängen muss/will, für den könnte es mit der Zeit etwas eng werden, besonders wenn man die letzte Bahn erwischen muss. Gut, dass es genügend Möglichkeiten zum Zwischenabstieg gibt.
Die Schwierigkeitsbewertung mit C passt, wobei dieser KS meist deutlich leichter ist. Mir fällt auf, während ich diese Zeilen schreibe, dass ich die eine einzige C-Stelle nicht einmal in diesem Bericht erwähnt habe, so unspektakulär ist sie mir erschienen.
Die Landschaft ist großartig. Der Hindelanger kann, was das anbelangt, locker mit einigen Via Ferrata in den Dolomiten Schritt halten.
Es war also gar nicht so schlimm und dennoch: Der Hindelanger Klettersteig wird heute nicht nur abgehakt, sondern auch durchgestrichen!